Rund um den Jahreswechsel haben vielformatige und bunte Kalender Hochsaison. Auch bzw. gerade in Zeiten extremer Digitalisierung. Der Blick auf die Titelseite des vorliegenden Pfarrblattes erinnert uns daran: Es gibt sie tatsächlich noch - die guten alten Abreißkalender. Jedes einzelne Kalenderblatt bringt neben dem aktuellen Tagesdatum eventuell auch Hinweise auf den Tagesheiligen. Zusätzlich finden sich – je nach Format noch inspirierende Zitate, Rezepte, Tipps und Tricks für das tägliche Leben. Im Lauf des Jahres wird durch das tägliche Abreißen des je aktuellen Blattes der Kalender dünner und schlanker.
Das Kalenderblatt erinnert uns an Wechsel, Veränderung und Vergänglichkeit. Es stellt uns deutlich vor Augen, dass wir Menschen eingebettet sind in den Zyklus des Werdens und Vergehens, des Wachsens, Lebens und Absterbens. Immer wieder kommt nach der Nacht der Morgen, nach dem Winter der Frühling. Unzählige Generationen von Menschen lebten vor uns, unzählige werden nach uns kommen. Uns Menschen ist eine bestimmte Lebenszeit auf der Welt gegeben. Keiner sucht sich aus, wann, wo und unter welchen Umstanden er / sie auf die Welt kommt bzw. er / sie nach wie vielen Jahren die Welt im Sterben wieder verlassen wird.
Jedes abgerissene Kalenderblatt erinnert mich daran, dass wieder ein jeweils einzigartiger Tag zu Ende ist. Es erinnert daran, dass das, was (nicht) war, nicht mehr ungeschehen gemacht werden kann. Es erinnert mich an die vielen genutzten und ungenutzten Möglichkeiten. Es erinnert mich an Begegnungen und Ereignisse. Ein Ereignis an einem Tag kann alle weiteren Lebenstage massiv verändern.
Das jeweilige am Kalender sichtbare Kalenderblatt erinnert mich an das oft gelesene und gehörte lateinische Zitat des römischen Dichters Horaz: „Carpe diem“. Frei übersetzt könnte es lauten: Mensch, mach was aus deinem Tag und deinem Leben.
Das Zitat erinnert mich, den mir jeweils neu geschenkten Tag achtsam zu leben. Ich habe jeweils nur den einen Moment, den ich gestalten kann. Ich weiß nicht, was in drei Stunden oder morgen sein wird. Jetzt findet das Leben statt. Und sobald mir das bewusst wird, sind schon wieder einige Augenblicke an Lebenszeit vorbei.
Keiner kann sagen, wie viele Lebenstage ihm / ihr (mit oder ohne Abreißkalender) geschenkt sind. Wie sagte Abraham Lincoln? „Entscheidend ist nicht die Anzahl der Jahre, sondern die Vielzahl der schönen Augenblicke im Leben“. Vieles liegt in unserer Hand. Genau so viel liegt nicht in unserer Hand.
Ich bin überzeugt, dass Zeit und Leben in Gottes Hand liegen. Glaubend bekennen wir, dass Gott mit uns auf dem Weg ist. Als Glaubende bekennen wir, dass unsere Lebenstage sein Geschenk an uns sind. Glaubend bekennen wir, dass Gott inmitten aller Alltäglichkeit geheimnisvoll zugegen ist. Als Glaubende sind wir eingeladen, Gott viel mehr Raum in unserem Alltagsleben zu geben.
Ich bin überzeugt, dass Gott uns durch und über die Zeiten hinaus begleitet. Ich wünsche uns viele schöne, zu Herzen gehende Momente, Erfahrungen und Augenblicke. Ich wünsche uns Erfahrungen, dass Gott uns im Alltag überrascht. Ich wünsche uns, dass wir uns von Gott getragen und begleitet wissen. Alle Augenblicke unseres Lebens lang.
Pfarrer Robert Schneeflock